Wenn Eltern (Mutter oder Vater) für immer gehen …
… dann steht Trauern an –
Es kann einen großen Einschnitt im Leben bedeuten, wenn Mutter oder Vater sterben. Die Gefühle, die aufkommen, sind besonders. Nicht zu vergleichen mit vorherigen Trauerprozessen, denn es geht etwas verloren, was uns zu dem hat werden lassen, der oder die man ist. In meinem Blogartikel zeige ich auf, was das besondere dabei ist, was jetzt – auch körperlich – besonders wichtig ist und wie sich das Leben durch den Tod der Eltern verändern kann.
Der eigene Prozess
Ich habe vor kurzem meinen (biologischen) Vater verloren. Er ist still und unbeachtet – ohne familiäre Begleitung – aus dem Leben geschieden. Ich habe eher durch Zufall von seinem Tod gehört, weil wir eine „besonders distanzierte“ Beziehung hatten. Nun könnte man meinen, dann ist sein Tod doch gar nicht so schlimm für mich – er war ja auch vorher nicht besonders präsent in meinem Leben! Er ist es doch, denn jetzt ist es endgültig, dass wir nicht mehr tiefer in Kontakt kommen können. Und ich muss es akzeptieren und das Endgültige verstehen lernen. Eva Terhorst beschreibt dies sehr treffend „Haben wir Eltern, die es nicht geschafft haben, für uns da zu sein, dann verlieren wir mit ihrem Tod die Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch etwas zum Guten verändern könnte„.
Körperliche Symptome
Erstmal habe ich persönlich wenig gespürt, als mich die Nachricht erreichte. Ja, ein Anflug von „traurig sein“, aber dann war da einige Tage erstmal nichts. Ich konnte recht pragmatisch über den Tod meines Vaters im Freundeskreis berichten. Das hat mich hellhörig gemacht! Wo sind die Gefühle der Trauer – irgendetwas muss mich doch bewegen, denn es ist der Mensch, der dazu verholfen hat, auf die Welt zu kommen? Ich habe mir dann persönlich dazu professionelle Begleitung gesucht und es war dann einfacher an die Trauer zu kommen. Durch Reflexion von Erinnerungen, was war gut und schön in unserer Verbindung in frühen Jahren? An was kann ich mich gut erinnern, was hat mein Vater mir mitgegeben für das Leben und vieles mehr. Das war für meinen Trauerprozess gut und wertvoll!
Viele Menschen fühlen sich in der Folge erstmal kraftlos, weil die Seele einiges zu verarbeiten hat. Wenig bis gar nicht kreativ, weil der Tod der Eltern auch Stress und eine enorme Belastung bedeutet. Unser Gehirn ist enorm gefordert, weil man über vieles nachdenken muss. Wenn die Verbindung intensiv war, fallen außerdem viele liebgewonnene Gewohnheiten, wie Besuche, Telefonate, gemeinsame Aktivitäten und anderes plötzlich weg.
Ich höre auch oft: „Normalerweise würde ich jetzt meinen Vater/meine Mutter anrufen, um über ein Erlebnis zu berichten.“ Einfach, weil man vieles geteilt hat, was einem im Leben wichtig war. Trauer kann einem wortwörtlich aufs Herz schlagen durch erhöhten Herzschlag. Nicht umsonst spricht man auch von einem gebrochenen Herzen. Auch der Anstieg des Cortisolspiegels ist eine Reaktion auf die empfundene Trauer, denn trauern kann Stress bedeuten – weil es eine enorme psychische Belastung sein kann, Eltern zu verlieren. Wegdrücken hilft aber noch weniger!
Trauer braucht Raum und Zeit
Insgesamt sind diese Symptome normal und in Teilen wichtig. Nicht gefühlte Trauer ist eher ein Alarmsignal, denn nicht erlebte Trauer kann zu Depressionen führen. Dies wiederum zu körperlichen Folgekrankheiten, die oftmals mit verdrängter Trauer zu tun haben. Dr. Manfred Wolfersdorf, Experte für Depressionen sieht, dass unverarbeitete Trauer oder unterdrückte Gefühle bis zu 60% zu einer Depression führen können.
Nicht zu vernachlässigen ist aber auch die Wut. Wut darüber, was nicht erlebt wurde, aber auch als Schutz, um die Trauer nicht zu spüren. Insgesamt entsteht ein Gefühlscocktail, dem man Zeit geben sollte und aus gesundheitlichen Gründen auch genügend Raum, um die Gefühle zu spüren und Abschied zu nehmen.
Weinen ist nicht gleich Heulen
“Durch Weinen kannst du die Schwere der Trauer lindern.” William Shakespeare
Bei manchen Menschen können sich durch den Tod der Eltern wahre Schleusen öffnen. Tränen kommen zu jeder (ungelegenen) Gelegenheit, weil im Außen etwas daran erinnert und man sofort mit der Trauer konfrontiert wird. Für einige sind Tränen mit Schwäche verbunden und so wird das Gefühl weggedrückt, weil man Angst auf Ablehnung und Unverständnis hat. Auch hier wieder: unterdrückte Tränen schaden der Gesundheit. Und noch ein Hinweis im Falle der Trauer um einen Elternteil zeigen sie auch Liebe. Warum sollte man also Tränen unterdrücken, die mit mit Liebe zu tun haben?
Wenn man den Tränen seinen Lauf lässt – und sich dabei nicht total unwohl fühlt – löst man den inneren Gefühlsstau, das Gehirn wird durchblutet und der Blutdruck sinkt. Vielleicht ist man auch erstaunt, wieviel Mitgefühl man im Außen erhält, was wiederum sehr gut tun kann. Falls man auf Unverständnis stößt, dann lohnt es sich in diesen Momenten ein ruhiges Plätzchen zu suchen oder zu jemandem Kontakt aufzunehmen, der mit diesem Weinen umgehen kann. Auf jeden Fall tut man sich etwas Gutes, indem man sich dem Fluss hingibt, statt ihn zu kontrollieren.
Was darf bleiben – was muss ich loslassen?
Ich habe mir gleich ein paar Bilder aus Kindertagen rausgesucht, die mich als glückliches Kind in den Armen meines Vaters zeigen. Sie tun gut! Oder die Erinnerung an das perfekte Puppenhaus, das er für mich gebaut hat. Oder meine Worte auf der Beerdigung, die zwar spontan, aber aus der Tiefe hervorkamen. Es war meine Verbindung zu ihm und wichtig, sie dort an diesem Ort auszusprechen. Das sind natürlich eher die schönen Erinnerungen, aber es gab auch die andere Seite.
Eva Terhorst beschreibt es treffend: „Schöne Erinnerungen zu bewahren, fällt leicht. Doch selbst hier bedarf es einer bewussten Auseinandersetzung, damit diese Erinnerungen in unserer Seele und in unserem Gedächtnis einen guten Platz bekommen. Mit schlechten oder schlimmen Erinnerungen umzugehen und sie an ihrem rechten Platz zu rücken, ist schwer… Hierfür sollten Sie sich getrost professionelle Hilfe holen, denn ohne einen Blick von außen kann es schwierig sein, solche Erinnerungen auf heilsame Weise zu integrieren.“
Eigene Geschichte verstehen lernen
Ich persönlich habe mir in den vergangenen Jahrzehnten schon oft Gedanken zu meinem Familiensystem, insbesondere meinem Vater gemacht. Habe mich intensiv mit ihm, unserer Beziehung, dem fehlenden Kontakt und insbesondere seiner Geschichte als Kriegskind im 2. Weltkrieg auseinandergesetzt. So musste er mit dem Ende des 2. Weltkrieges vom heutigen Polen rund 1000 km bis in die Südpfalz flüchten.
Mir ist ein Satz von ihm besonders wichtig, weil es mir hilft ihn zu verstehen und loszulassen, dass er als Vater nicht anders sein konnte: „Ich war ja auf der Flucht immer dabei und hatte trotz meiner damals 6 Jahre alles mitbekommen und erinnere mich noch an alles!“ Das ist eine WhatsApp Nachricht, die er mir hinterlassen hat – sie hilft mir ihn zu verstehen. Loszulassen, weil er in Teilen nicht anders konnte, traumatisiert von einer Flucht, wo seine Schwester verhungerte und meine Großeltern das Trauern unterdrücken mussten. Weil es für das Trauern keine Zeit gab, denn es ging ums pure Überleben. Vielleicht liegt sein Tod auch deshalb in Zeiten des Ukraine Krieges? Wer weiß, was ihn bei diesen Bildern von Krieg und Flucht besonders bewegt hat?
Leider kann ich ihn nicht mehr fragen.
Auch deshalb versuche ich jetzt zu trauern, mir Raum und Zeit zu geben – auch wenn es mir nach wie vor schwer fällt…
Zum Vertiefen:
Eva Terhorst: Trauern, wenn Mutter oder Vater stirbt. Ich bewahre alles in meinem Herzen. Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017. 2. Auflage 2020