Lebensthemen

Grenzenlos leicht oder total verspannt

Wenn der Körper spricht: die Geschichte unseres Lebens steckt in unserem Körper

In unserem Körper sind alle Erfahrungen gespeichert, die wir in unserem Leben erlebt haben. Die guten, wie die schlechten. In der Fachsprache ist das mit dem Körpergedächtnis bezeichnet. In meiner Beratungspraxis habe ich oft Menschen, die aufgrund ihrer vielen anstrengenden Erfahrungen den Kontakt zu ihrem Körper verloren haben und jetzt in der Lebensmitte oft auf schmerzvolle Art und Weise an ihn erinnert werden. Der Körper beschwert sich durch vielerlei Symptome, wie: Schlafstörungen, Bluthochdruck, Angstzustände oder in der Schwierigkeit, sich zu entspannen. Was ist hier passiert?

Festgehaltene Emotionen im Körper

Unser Körper speichert die Geschichte unseres Lebens, er hält die Spannungen, die wir in vielen Situationen erlebten, fest und gerät in einigen Fällen aus dem Gleichgewicht. Manch eine Erfahrung kann so intensiv gewesen sein, dass sie eine traumatische Spur im Körper hinterlässt. Wenn man dann einmal erlebt hat, welcher Genuss durch Entspannung entsteht, möchte man diesen Zustand niemals mehr verlieren. Die körperorientierte Methode von Peter A. Levine (Somatic Experience), die Teil meiner Beratungstätigkeit geworden ist, schafft neben der kognitiven Verarbeitung durch Gespräche die Möglichkeit, den Körper beim Erkenntnisprozess mit einzubeziehen. Nicht alles, was man erlebt hat, kann und muss durch Worte ausgedrückt werden. Manchmal ist es besser sich für den Verarbeitungsprozess ganz auf die Weisheit des Körpers zu verlassen. Festgehaltene Emotionen werden durch das Einbeziehen der Körpersprache eingeladen, sich zu entladen und die Anspannung verschwindet. Gleichzeitig können sich damit vielerlei psychosomatische Beschwerden auflösen, wie beispielsweise Migräne oder Schwindel und Druck im Kopf.

Wie ist das möglich?

Bestimmte Situationen rufen bei Ihnen eine starke körperliche Reaktion hervor oder im Gegenteil: sie spüren gar nichts, indem sie sich quasi „wegbeamen“. Diese körperliche Reaktion kann ganz leicht erfolgen, indem wir ein fast nicht spürbares Anspannen im Körper wahrnehmen. Erst wenn wir mehr und mehr Zugang zu dieser Fähigkeit wiedererlangen, merkt man, wie und wo man sich tagtäglich anspannt. Das kann durch ein Gespräch mit dem Partner passieren oder wir sitzen in einem Meeting und merken die Anspannung rings rum, die sich eventuell auf uns selbst überträgt. All das ist nicht gut und versorgt den Körper in ungesunder Weise mit Stress und kann in einigen Situationen sogar zur Erstarrung führen. Vor allem, wenn dies dauernd passiert und der Körper gar keine Möglichkeit mehr hat, diese permanente Anspannung loszulassen. Man befindet sich quasi in einer permanenten Übererregung. Das Korsett, das daraus entsteht, kann man sich gut vorstellen und die Lebendigkeit, die dadurch verloren geht, ist für ein erfülltes Leben ebenfalls hinderlich.

Menschen, die in ihrer Kindheit eine gute und sichere Bindung erlebt haben, sind hier weniger gefährdet. Sie haben durch ihre direkten Bezugspersonen gelernt, sich zu regulieren, denn diese verhalfen ihnen durch gute Spiegelung mit hohen Erregungszuständen besser umzugehen. Die Bedürfnisse des Kindes wurden damals erkannt und Mutter oder Vater sind adäquat darauf eingegangen, so dass sich das Nervensystem wieder beruhigen konnte. Denn hier sitzt der Schalthebel für jede körperliche Reaktion: das Nervensystem. Es reguliert die Erregungszustände immer wieder hoch und runter. Manchmal in einer sehr ungesunden Weise, so dass man sich dauerhaft erregt fühlt oder im Gegenteil: dumpf und unbeweglich.

Ein kleines Experiment

Wahrnehmen ohne zu bewerten

Peter Levine schreibt in seinem Buch: „Sprache ohne Worte“ ein schönes Experiment über das Gewahrsein, dass Sie schnell nach machen können. „Betrachten Sie die Innenfläche Ihrer rechten Hand. Richten Sie Ihre Augen darauf. Jetzt schließen Sie die Hand zur Faust. Beobachten Sie die Bewegung und nehmen Sie die Endposition der Hand visuell wahr. Öffnen Sie die Hand und schauen Sie sie wieder an. Führen Sie die gleiche Bewegung nun mit geschlossenen Augen durch: Spüren Sie, wie sich ihre offene Hand physisch anfühlt. Die Augen weiter geschlossen, schließen Sie die Hand jetzt langsam zur Faust; dann öffnen Sie sie wieder. Die Augen immer noch geschlossen, richten Sie jetzt ihre Aufmerksamkeit ganz auf dieses Öffnen und Schließen, während Sie die Bewegung wiederholen. Bemerken Sie, wie sich ihr Gewahrsein verändert, während Sie kontinuierlich auf die Empfindungen achten, die mit dieser scheinbar so simplen körperlichen Aktivität verbunden sind.

Was Peter A. Levine hier beschreibt, ist das Wahrnehmen des Körpers – also die direkte Erfahrung, was im Körper vorgeht ohne sich ein Bild davon zu machen, wie es sein könnte. Eine direkte körperliche Erfahrung ohne es mit Gedanken (Bewertungen und Glaubenssätze) zu verbinden und dies mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Vielleicht merken Sie auch eine Empfindung im ganzen Körper durch diese Bewegung – und nicht nur in den Händen. Dann sind sie gut verbunden. Das heißt allerdings nicht, dass man in vielerlei Situationen gut damit umgehen kann. Aber, das kann man lernen!

Was ist hilfreich?

Wieder zurück zum Körper zu gelangen ist das Ziel und die Erfüllung für einen selbst. Sich mit seinem Körper verbunden zu fühlen, schafft ein beglückendes Lebensgefühl, statt ihn als einen quälenden Teil des Selbst zu sehen, der einem in vielerlei Situationen nur Schmerzen bereitet. Die wichtigste Erkenntnis ist, wann gehe ich tagtäglich über meine Grenzen und wie kann ich dies verhindern? Ein erster Schritt kann z.B. sein, seinen täglichen Stresslevel bewusst wahrzunehmen. Wo befinde ich mich auf einer Skala von 0 (wenig) bis 10 (sehr hoch) und wann hat es sich im Laufe des Tages geändert? Wann war das Level im Verlauf der letzten Zeit anders und was war der Auslöser für einen Anstieg? Für eine intensivere Reflexion ist dann natürlich ein Gespräch durch einen Coach sehr hilfreich – aber wenn das gerade nicht geht, kann man sich selbst auf die Spurensuche machen. Denn letztlich geht es um die eigene Wahrnehmung, die einem verhilft ein entspanntes Leben zu führen und mehr Kraft zu fühlen, um den eigenen Weg gut und gesund weiter zu gehen – statt permanent über die eigenen Grenzen zu gehen.

Empfehlenswerte Bücher, die das Thema intensiv beleuchten:
Dr. Isa Grüber: Was der Körper zu sagen hat. Ganzheitlich gesund durch achtsames Spüren, München 2013
Peter A. Levine, Vom Trauma befreien. Wie Sie seelische und körperliche Blockaden lösen, Kösel 2015 mit vielen Übungen
Marianne Bentzen: Das neuroaffektive Bilderbuch – hier wird in leicht nachvollziehbarer Weise die frühkindliche Entwicklung des Gehirns und der Persönlichkeit beschrieben. Kopenhagen 2016

Und außerdem eine sehenswerte Dokumentation zur Übertragung von Trauma und deren körperliche Auswirkungen finden Sie hier:

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