Lebensthemen

Wie wir werden was wir sind

Überlebensstrategien verhindern das gute Leben

Vielleicht haben Sie sich schon mal gefragt, wieso Sie in bestimmten Situationen diese oder jene Verhaltensweise an den Tag gebracht haben? Oder wieso sind Sie in einer bestimmten wiederkehrenden Situation so wenig erfolgreich gewesen, weil der Kontakt mit dem Gegenüber misslang?

Fakt ist, wir haben uns im Verlauf des Lebens bestimmte Strategien und Selbstbilder angeeignet, die wir – unbewusst – in den verschiedensten Situationen immer wieder zum Vorschein bringen. Einfach weil wir nichts anderes kennen und können. Manchmal sind diese Verhaltensweisen aber destruktiv, bringen einen nicht weiter oder führen zum gleichen bekannten negativen Ende. Das Gute ist: vieles,  was im „Jetzt und hier“ destruktiv ist lässt sich verändern. Denn wir sind nicht damit geboren, sondern wir haben uns aufgrund der Erfahrungen Überlebensstrategien angeeignet, um in der Vergangenheit damit zu überleben.

Was sind Überlebensstrategien?

Der erste Kontakt, den wir haben sind unsere Eltern oder die Bindungspersonen, die uns großgezogen haben. Sie sind dafür da, unsere Bedürfnisse ausreichend zu erfüllen und sich auf uns einzustimmen. Ich rede hier nicht von völliger Bedürfnisbefriedigung, sondern bewusst von ausreichender – es gibt keine perfekten Eltern und das würde wiederum zu einem Dilemma führen. Bleiben wir bei ausreichend… Wenn diese Bedürfnisse jedoch nicht erfüllt werden, bleibt von Seiten des Kindes nur der Rückzug. Aber gleichzeitig brauchen wir unsere Bindungspersonen zum Überleben und das lässt sich im Inneren des Kindes nicht lösen. Hier entstehen die Überlebensstrategien!

Wir ziehen uns im Kontakt zu den Eltern zurück, wir halten uns damit zurück, unsere Bedürfnisse und Gefühle zu zeigen, oder wir treten sehr fordernd auf. Wir drücken unsere Erkenntnisse und Gefühle weg, wir fühlen uns falsch, wenn wir auftauchen und wir übernehmen eins zu eins die Botschaften unserer Eltern.„, so fasst es Laurence Heller, Experte für Entwicklungstrauma und Gründer des NeuroAffective Relational Model ™ (NARM) zusammen.

Vielleicht erkennen Sie aus dem Zitat von oben Anteile von sich wieder, wie Sie auch heute noch agieren, wenn die eine oder andere herausfordernde Situation im Kontakt mit anderen auftritt? In bestimmten Situationen greifen wir auf kreative Überlebensstrategien zurück, damit wir unser physisches und emotionales Überleben sichern. Aber sind diese heute noch sinnvoll? Ist es in der Gegenwart noch notwendig, Bedürfnisse, Gefühle und Impulse wegzudrücken? Wahrscheinlich nicht – aber hier liegt die Krux, denn diese Überlebensstrategien sind Teil unserer Identität geworden. „Sie haben uns Orientierung und Sicherheit gegeben, auch wenn sie uns oft schadeten,“ schreibt Heller.

Die Überlebensstrategien setzen wir solange ein, bis wir uns aktiv damit auseinandergesetzt haben. Außerdem brauchen wir gute Erfahrungen mit uns selbst und anderen Menschen, wo wir neue Verhaltensweisen positiv einsetzen können. Das besondere dabei ist, dass sich die Überlebensstrategien auch körperlich ausdrücken und zu den verschiedensten körperlichen Symptomen führen können. Drücke ich Trauer zum Beispiel weg, weil ich sie in meiner Vergangenheit nicht zeigen konnte, dann zeigt sich das durch Spannung im Brustraum, im Bauch oder im Hals. Diese Anspannung kann zu chronischen Spannungsmustern führen und sich in vielerlei Psychosomatik zeigen – wie z.B. wiederkehrende Infekte im Hals-Nasenbereich.

Wie kann man den Teufelskreis verlassen?

Neue Verhaltensweise zu lernen und sich aus den alten kindlichen Bindungserfahrungen zu lösen erfolgt schrittweise in folgenden Stufen:

  • Ein erster Schritt ist die Selbstakzeptanz der (eigentlichen) Gefühle
  • Anerkennen, dass es in der Vergangenheit wichtig war, genauso zu reagieren
  • Dinge zu erkunden, die dem neuen Erleben im Wege stehen und in neuen Situationen überprüfen und testen
  • Auflösung durch neue angemessene Verhaltensweisen und Gefühle

Die in Kürze dargestellte Vorgehensweise ist natürlich ein Prozess, der teilweise länger, aber manchmal auch schnell geht. Im ganz eigenen Wachstumsprozess, der immer zur jeweiligen Person passen muss und am besten begleitet werden sollte, können neue Verhaltensweisen geübt werden, weggedrückte Bedürfnisse sichtbar werden und der Kontakt zu sich selbst und anderen deutlich verbessert werden. Die alten Überlebensstrategien werden zurückgelassen und durch neues Verhalten, dass ermöglicht die wirklichen Gefühle und Empfindungen zu zeigen, ersetzt. Letztlich können damit alte Identifikationen aufgelöst, ein ganz neues Lebensgefühl entwickelt und der Kontakt zu Anderen deutlich verbessert werden.

„Der Mensch lernt, indem er die Vergangenheit studiert. Er kann aber nur wachsen, wenn er seine Wurzeln stärkt, die ihn mit seiner Vergangenheit verbinden. Und die Vergangenheit eines Menschen ist sein Körper.“ Alexander Lowen

Zum Weiterlesen:
Laurence Heller/Angelika Doerne: Befreiung von Schuld und Scham. Alte Überlebensstrategien auflösen und Lebenskraft gewinnen. Das Neuroaffektive Beziehungsmodell NARM ™. 2020 Kösel-Verlag, München

 

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