Beratungsbeispiele aus meiner Praxis

Gehen Ihnen Ihre Nerven auch manchmal auf die Nerven?

Oder: wie man lernt, sein Nervensystem zu regulieren.

Vielleicht kennen Sie es auch, dass Sie häufig angespannt, gereizt, aber auch gleichzeitig erschöpft und müde sind? Viel schöner wäre es, sich innerlich entspannt, aber gleichzeitig auch lebendig und aktiv zu spüren und mit allen Sinnen da zu sein. Ein Gefühl von Aktivierung, die gut tut. Das gelingt nicht immer, aber der erste Schritt ist, diesen Unterschied wahrzunehmen, ihn zu verinnerlichen und zu lernen, das Nervensystem zu regulieren.

Das Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus

Das Nervensystem ist wie ein Hoch und runter ähnlich wie Berg und Tal
Das Nervensystem ist wie ein Hoch und runter – ähnlich wie Berg und Tal

Eigentlich ist es ganz einfach: unser autonomes Nervensystem, also der Teil des Nervensystems den man nicht mit dem Willen regulieren kann, basiert im Idealfall auf dem ausgeglichenen Hin- und Herpendeln zwischen zwei Seiten: dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Der Sympathikus reagiert bei körperlichen Reaktionen, die uns bei Angst und Stresssituationen auf Kampf oder Flucht einstellen. Dies führt z.B. zu einem schnelleren Herzschlag und flacherer Atem, Kontraktion der Muskeln oder auch zur Einstellung der Darmtätigkeit.

Als Gegenspieler fungiert der Parasympathikus, der alle unbewussten Reaktionen steuert, um uns nach Stresssituationen zu entspannen, zu verdauen, gut zu schlafen oder zu regenerieren. Im Idealfall ist das ausgeglichen, d.h. Sympathikus und Parasympathikus wechseln sich ab – wir pendeln zwischen den beiden Erregungszuständen regelmäßig hin- und her.

Pendeln will gelernt sein

Wenn ich mich aber, wie oben beschrieben, permanent angespannt fühle und dadurch müde und erschöpft bin, dann ist dieses Pendeln zwischen den beiden Zuständen verloren gegangen. D.h. dann hat der Parasympathikus, der für die wirkliche Entspannung des Nervensystems zuständig ist, seine Funktion größtenteils verloren. Die Anspannung ist chronisch geworden und dann gehen Ihnen wortwörtlich Ihre Nerven auf die Nerven.

Manche befinden sich sogar im Daueralarm und der Körper hat vollständig die natürliche Möglichkeit verloren, wieder in die Entspannung zu kommen. Dann sprechen wir eher von Trauma und man müsste behutsam über Körperwahrnehmung die Regulation neu erlernen.

Erster Schritt: lernen Sie ihre Erregungszustände wahrzunehmen

Wenn Sie beispielsweise auf die Autobahn fahren und vor Ihnen stoppt abrupt ein Wagen, rote Rücklampen leuchten auf und Sie müssen sofort bremsen, um nicht in das Auto vor Ihnen zu fahren. Dann ist Ihr Erregungszustand sicher verändert zu der Situation, in der Sie sich gerade noch befunden haben. Sie saßen in ihrer Wohnung, haben gemütlich gefrühstückt und Ruhe um sich gehabt. Sehr anschaulich ist dieser Wechsel in den Erregungszuständen in diesem Video dargestellt. Nicht immer geht es gleich um Trauma, sondern das ganz normale Leben, das uns tagtäglich herausfordert. Der schnelle Wechsel der Erregungszustände, wo das Nervensystem immer wieder gefordert ist, darauf zu reagieren. Gut ist, wenn man dann weiß, wie man sich wieder – auch in herausfordernden Situationen – beruhigen kann.

Hovermans Spere
Mit dem Hovermans sphere das Nervensystem erkunden. Ganz geschlossen…

In meinen Sitzungen setze ich oft den im Video beschriebenen Hovermans sphere ein – ein bunter Ball mit Gelenkkonstruktion, der sehr anschaulich wiedergibt, wie sich jemand in welcher Situation fühlt und wie das Nervensystem funktioniert.

Bei hoher Erregung wird der Ball unregelmäßig oder abrupt geöffnet und geschlossen. Im schlimmsten Fall ist der Ball dauerhaft geöffnet oder fest zusammengepresst. Wenn ich mich hingegen normal entspannt oder aktiviert fühle, dann wird dies durch regelmäßiges rhythmisches Öffnen und Schließen des magischen Balls wiedergegeben.

…oder ganz offen. Am besten ist der regelmäßige Wechsel zwischen den beiden Dimensionen.

Die meisten Klienten können das auf verschiedene Situationen, in denen sie sich befunden haben, sehr gut übertragen. Eine Klientin beschreibt mir z.B., wenn sie morgens in einer Videokonferenz zu einem Vortrag aufgefordert wird, dann wäre ihr „Hovermans sphere“ bildlich gesprochen zusammengepresst. Das bedeutet ihr Nervensystem ist im Alarmzustand – der gesunde Wechsel (Pendulation) zwischen Sympathikus und Parasympathikus findet nicht mehr statt.
Sie befindet sich im Fluchtzustand!

Die Wahrnehmung stärken – den Boden unter den Füßen spüren
Um aus diesem Dilemma herauszukommen, helfen im ersten Schritt ein paar Fragen zur besseren Wahrnehmung, die man regelmäßig üben kann:

  1. In welchem Erregungszustand befinde ich mich jetzt gerade?
    Sie können mit der Skaleneinschätzung (niedrig erregt 1 bis 10 hoch erregt) ganz schnell eine Einschätzung bekommen. Ob der Zustand gut oder schlecht ist, wissen die meisten selbst.
  2. Welche körperlichen Reaktionen zeigen sich bei mir?
    Z. B. normales oder heftiges Herzklopfen, flache oder tiefe Atmung, Muskelanspannung oder -entspannung, um nur ein paar körperliche Symptome aufzuzeigen.
  3. Was könnte mir jetzt helfen, um z.B. aus dieser stressigen Situation herauszukommen?
    Wenn die Situation bedrohlich ist, hilft manchmal schon, den Raum zu verlassen, vor die Tür zu gehen und tief durchzuatmen. Oder heute in den vielen Onlineveranstaltungen schalten Sie die Videofunktion aus und besinnen sich auf sich selbst – falls das gerade geht und man nicht präsent sein muss. Eine andere Möglichkeit ist, den Boden mit beiden Füßen wahrzunehmen und außerdem die Zehen bewusst zu fühlen. So bekommen Sie wieder Bodenhaftung!

Wie bei vielen Dingen, die ich verändern möchte, ist der erste Schritt, erst mal das bewusste Wahrnehmen der körperlichen Symptome des Körpers. Manchen ist dies im Verlauf des Lebens abhanden gekommen, weil sie sich aus guten Gründen von ihrem Körper entfernt haben oder noch nie einen guten Zugang dazu hatten.

In meiner Begleitung wende ich das bewusste Wahrnehmen des Körpers immer wieder an, indem ich gezielt Fragen dazu stelle. So lernt man sukzessive, mehr Wissen aus den Symptomen des Körpers abzulesen und damit das Nervensystem besser kennenzulernen, um es dann zu regulieren. Alleine gelingt dies anfänglich nicht und eine äußere Begleitung ist dann hilfreich, um mit sich selbst besser in Kontakt zu kommen.

Ziel ist mehr Ruhe für das Nervensystem

Wenn man dann Erfahrungen durch die Begleitung gesammelt hat, ist man auch in herausfordernden Situationen fähig zu angepasster Reaktion und Leistung. Oder falls das nicht passend ist, rechtzeitig darauf zu achten, sich zu erholen. Manchmal ist der Rückzug aus allem der einzige Weg, wieder zur Ruhe zu kommen – aber auch das will gelernt sein.

Letztlich fühlen wir uns immer mehr eigen-mächtig und wohl in unserer Haut und die Nerven kommen immer öfter zur Ruhe und finden einen ausgewogenen Rhythmus. Dann gehen Ihnen Ihre Nerven immer weniger auf die Nerven!

 

Ergänzend:
Ein weiterführendes Video über Pendulation mit Peter Levine.
Über „Einstellungen“ kann die deutsche Übersetzung in den Untertiteln erzeugt werden.

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