Was ich im Leben bereue?

Nichts!

Ganz einfach!?

Ich gehe bald auf einen weiteren runden Geburtstag zu, habe mein langjähriges Angestelltenverhältnis verlassen und finde, dass ist ein guter Zeitpunkt, ein Resümee über das bisherige Leben zu ziehen. Nicht erst zum Jahresende oder zum Tag X. Sondern jetzt!

Die Tage kam dann auch noch treffend der Newsletter der Deutschen Gesellschaft der Positiven Psychologie (DGPP). Ich lese ihn gerne, denn er fasst immer gut zusammen, was ich Positives in der Welt finden kann. Auch hier fand ich einen Satz, der meine Gedanken zu meinem bisherigen Leben gut umfasst: „Lebenserfahrungen, die neuartig und herausfordernd sind sowie einen Perspektivwechsel erfordern, tragen maßgeblich dazu bei, ein psychologisch reiches Leben zu erfahren.“ Ich finde die Bezeichnung ein psychologisch reiches Leben für mich sehr treffend!

Warum bereue ich also nichts?

In meinem Leben ging es nicht immer gradlinig zu. Im Gegenteil, es gab von Anfang an ordentliche Herausforderungen, die mich letztlich zu der gemacht haben, die ich heute bin.

Geboren im Jahrgang der höchsten Geburtengänge. Eltern, die beide kriegstraumatisiert waren und nicht wussten, dass sie traumatisiert sind – fast keiner wusste das damals. Ich wurde erzogen nach alten Regeln, mit Werten wie: Strenge, Sauberkeit, Pünktlichkeit und vor allem viel, viel Leistungsanspruch. Bettina Alberti schreibt es treffend: „Aufgezwungene Rhythmen waren wichtiger als ein lebendiger Fluss von Geist und Seele, Funktionieren blieb eines der wichtigsten Lebensprinzipien.“

Bettina Alberti hat vieles in ihrem Buch „Seelische Trümmer – Geboren in den 50er- und 60er Jahren“ gut recherchiert und mir viel Klarheit – wenn auch erst später, als ich mich damit beschäftigt habe – mitgegeben. „Funktionieren blieb ein Wert, der die Kriegskinder-Generation in ihrem viel zu frühen Erwachsenwerden gebunden hielt. Er wurde größtenteils unreflektiert an die nächste Generation weitergegeben.,“ schreibt Alberti. Also an mich. Welche Herausforderungen sich hieraus ergeben, habe ich ausführlich in meinem Beitrag zu den Kriegskindern beschrieben.

Aller Anfang ist schwer

Mit dieser Ausgangslage ging es mir zunächst nicht immer gut – manchmal sogar richtig schlecht – und jetzt kommt das aber: ich habe früh angefangen, mich damit auseinanderzusetzen. Dies ist und bleibt für mich die beste Möglichkeit, aus alten (Überlebens-)Mustern und Regeln herauszuwachsen und das eigene und erfüllte Leben zu finden. Dazu gehören auch viele Stolpersteine, Rückfälle und schmerzhafte Momente. So ist das Leben – eben. Dass zu lernen, war ein Teil meiner Entwicklung in die richtige Richtung.

Was hat mir geholfen?

Fünf Dinge sind es, die mir geholfen haben, mein Leben in eine gute Richtung zu lenken:

1. Den Dingen auf den Kern zu gehen
2. Unterstützung und Hilfe annehmen
3. Dankbarkeit
4. Gesundheit und Wohlbefinden zu beachten
5. Mein Wissen weiterzugeben

1. Den Dingen auf den Kern zu gehen

Nach dem Abitur (mit ach und krach geschafft…) folgte eine Ausbildung als Industriekauffrau, weil ich gar nicht wusste, was ich werden wollte. Bald merkte ich, dass mich diese Welt und deren Inhalte nicht genügend erfüllte. Auch deswegen habe ich ein Studium absolviert, dass sich mit den Themen beschäftigt, die mir schon lange am Herzen lagen: die Sprache (Publizistik), die Menschen (Psychologie) und die Gesellschaft (Politik).

Vor allem durch das Studium der Psychologie sind mir viele Dinge, die mein Leben bislang bestimmten, sehr viel klarer geworden. Bis heute hat mich diese Spurensuche nicht mehr losgelassen. Nach dem Studium folgten viele mehrjährige Aus- und Weiterbildungen in jeder psychologischen Richtung – auch berufsbegleitend – denn während dieser Zeit war ich in verschiedenen Positionen im In- und Ausland tätig.

Durch die eigene Reflexion der Persönlichkeit mit Hilfe von Therapie, Supervision und maßgeblich Weiterbildungen, wie z.B. Systemisches Coaching, Hakomi, Somatic Experiencing®, SOMA Embodiment habe ich mich immer besser kennengelernt. Habe meine Kindheit reflektiert, mein Familiensystem verstanden, meine Beziehungsmuster erkannt und habe mich als Persönlichkeit immer besser gefunden.

Und für mich ganz wichtig: neben dem reinen Verstehen war die körperliche Integration sehr wesentlich. Der Körper ist Ausdruck der Seele und bietet  – wenn ich mich ihm zuwende – viel Erkenntnis über meinen inneren Zustand. Das Erforschen geht bis heute so weiter und ist für mich enorm wertvoll.

Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit den Traumata in unserer Familie, aber auch in unserer Gesellschaft, die mich das Verstehen gelehrt hat und mir eine andere Haltung zum Leben ermöglicht hat. Damit ist vieles in mir zur Ruhe gekommen.

2. Unterstützung und Hilfe annehmen 

Dinge laufen schief! Manchmal habe ich mich auf eine Beziehung, eine Freundschaft, ein Projekt oder irgendwas, was mir am Herzen lag, eingelassen. Es hat nicht funktioniert, mich traurig gemacht oder auch unglücklich sein lassen. Aber gerade diese Dinge im Leben, wie eine Ehe, die nicht funktionieren konnte, ließen mich wachsen. Niemals kam mir der Gedanke, den Kopf in den Sand zu stecken, obwohl es wirklich „schwarze Tage“ gab.

Was mir immer geholfen hat, war darüber zu reden, es mit Menschen zu reflektieren. Ich war ganz früh davon überzeugt, manche schwierigen Themen brauchen eine professionelle Unterstützung. Und durch mein Studium der Psychologie wurde mir das nochmal mehr bewusst. Hilfe zu suchen und auch zu bekommen, war dabei eine wesentliche Lernerfahrung. Klar war es am Anfang schwierig, die Kontrolle ein Stück weit abzugeben, aber auch das war eine wichtige Erkenntnis: Ich muss nicht alles kontrollieren und alleine machen, denn das war ein Überlebensmuster aus meiner Vergangenheit.

3. Dankbarkeit

Meine Haltung zum Leben war nicht immer ausschließlich lebensbejahend. Wenn ich mitten in einem Dilemma saß, fiel mir der positive Blick auf alles um mich herum sehr schwer. Besonders dadurch, dass Lebendigkeit und fröhlich sein im familiären Umfeld nicht erlaubt war. Es gab da immer diese Geschichte hinter der Geschichte – nämlich die Kriegstraumata… Alberti beschreibt es wie folgt: „Ein wesentlicher Grundgedanke der Tiefenpsychologie besagt, dass auch vergangene Erfahrungen in uns gespeichert und dadurch lebendig sind. Sie bilden den psychischen Hintergrund, vor dem wir die Gegenwart gestalten – und das jeden Moment.“ Meine kindliche Fröhlichkeit hat viele im familiären Umfeld irritiert, bis ich sie dann auch für lange Zeit versteckte. Es gab ja eher Ausdrücke, wie „hart wie Krupp-Stahl.“ Viele aus meiner Generation kennen das noch zu gut.

Für was bin ich also dankbar? Wer einmal das Buch „Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit zu haben“ von Ben Furman gelesen hat, weiß was ich damit meine. Ich habe im Verlauf der zurückliegenden Zeit durch die vielen Lernerfahrungen in den Aus- und Weiterbildungen vor allem meine wichtigsten Ressourcen im Leben herausgearbeitet. Diese waren mir so nicht bewusst, weil der Blick zuvor auf die Unzulänglichkeiten gelenkt war. Unsere Ressourcen und dies ist immer wieder eine gute Übung, sich diese bewusst zu machen, sind die Kraftquelle für ein gutes Leben.

4. Gesundheit und Wohlbefinden beachten

Viele Menschen haben Gebrechen oder sind emotional nicht stabil. Und dies zunehmend mehr. Seit 2020 erkranken immer mehr Menschen an chronischem Stress und sterben in Folge sogar daran. Viele sind – obwohl es ihnen nicht bewusst ist – in einem permanenten Flucht- und/oder Kampfmodus. Seit ich die Hintergründe zu Somatic Experiencing® kennengelernt habe – also die Regulation des Nervensystems nach Peter Levine – ist mir vieles klarer geworden, was mich täglich stressen kann. Hier habe ich wesentliche Erkenntnisse zusammengefasst.

Und ganz wichtig: wie kann ich aus dem Teufelskreis herauskommen? Außerdem ist mir durch die Erkenntnis meiner Ressourcen klar geworden, wie wichtig ein gesunder Körper für eine gesunde Seele ist. Oder auch andersrum. Vieles habe ich in den letzten zehn Jahren verinnerlicht und übe täglich damit umzugehen… es hört nie auf. Ich muss wachsam bleiben, denn ich sehe es als ein Geschenk an, gesund zu sein. Ich achte auf mich und versuche gut im Kontakt mit mir zu bleiben! Aber auch das habe ich erstmal lernen müssen.

5. Mein Wissen weiterzugeben

Seit fast 10 Jahren begleite ich Menschen in herausfordernden Situationen. Sie suchen Rat, wenn sie in einer komplizierten Arbeits- oder Lebenssituation sind. Sie nicht mehr wissen, welches der nächste Schritt in ihrem Leben sein kann. Burn-out gefährdet sind oder viele Ängste mit sich herumtragen. Oder bei sich mehr im Körper ankommen möchten, weil sie vermuten dass ein Trauma dies verhindert.

Die Unterstützung von Menschen in allen Lebenssituationen ist für mich eine wichtige Lebensaufgabe geworden. Ich habe in den letzten 30 Jahren so viel Wissen erworben und freue mich, wenn ich Menschen – junge und ältere – dabei helfen kann, ihre augenblickliche Situation zu verbessern. Sie dabei zu unterstützen, einen neuen Blick oder Weg zu finden. So, wie ich es auch als wichtige Ressource bis heute sehe, mir in schwierigen Fragen immer wieder selbst Rat zu holen.

Ich lerne durch dieses Begleiten der Menschen immer selbst viel. Beschäftige mich dann auch nochmal mit einzelnen Themen und kann es dann anderen Menschen mit auf den Weg geben inclusive den Lebenserfahrungen aus meinem bisherigen Leben.

Ende gut – alles gut?

Der runde Geburtstag naht. Die Herausforderungen werden wieder anders. Nichts oder wenig, bleibt wie es ist. Auch dann werden wieder Dinge entstehen, die ich lösen möchte, damit mein Leben auch die nächsten Jahrzehnte gut bleibt. Meine fünf Lebenspfeiler werden mir helfen – vielleicht kommt noch was dazu, denn das Leben im Alter ist besonders. Meine Eltern- oder Großelterngeneration hat ja schon ein wenig davon vorgelebt.

Bislang kann ich jedoch mit vollem Herzen sagen: es hat sich gelohnt, viel in die Innenschau zu investieren. Sie führt mich dazu, auf ein Leben zu blicken, in dem ich nichts bereue. Ich freue mich auf die weiteren Erfahrungen…