Die Sicht auf die Dinge verändern: eigene Muster im Leben hinterfragen
Corona hat Gewohntes und Bekanntes aufgebrochen
Ein Klient von mir hatte mich vor Corona um Beratung gebeten, damit er für sich im Unternehmen einen neuen Platz findet. Ich sollte ihm dabei helfen, diese Neuorientierung zu begleiten und den Wechsel zu unterstützen. Es lag meinem Klienten viel daran, in seinem Unternehmen zu bleiben und dort aufgrund der langen Zugehörigkeit eine neue Position mit Zukunftsambitionen für die verbleibenden Berufsjahre zu finden. Hinzu kam, dass eine interne Ausbildung angeboten wurde, die er unbedingt starten wollte.
Wo sind Muster im Leben?
Im ersten Schritt ging es darum, die aktuelle Situation genauer zu beleuchten und zu schauen, welche Dinge gut und welche weniger gut sind. Und vor allem, welche Entwicklung hatte mein Klient in den letzten Jahren durchlaufen? Was war ihm gut gelungen und wo sieht er seine Stärken? Natürlich waren der Einfluss der Kindheit, die Beziehung zu seinen Eltern, die Erfahrungen als Ehemann und Vater ebenfalls prägend, so dass schon von Anfang an einige Muster transparent wurden, die auch heute noch wirksam sind. Z.B. es allen recht zu machen und sich selbst in den Hintergrund zu stellen. Das kann so weit gehen, dass man sich heute in der Gegenwart gar nicht selbst spürt und auch nicht wirklich sagen kann, was man möchte und wo man seine wirklichen Talente sieht. Oder auch, wo wurden Grenzen verletzt von Arbeitskollegen/innen oder Vorgesetzten? Man spürt die Verletzung eventuell zu spät und kann sich nicht entsprechend positionieren. Ein Teufelskreis, denn dann kann man nicht sagen, ob der nächste Schritt der richtige ist. Man bleibt in der Schleife von: zu viel von allem Gewohnten und zu wenig vom Guten Neuen. Für einen eigenen selbstbestimmten Weg ist es somit gut, sich selbst besser kennen zu lernen – egal in welchem Alter!
Festhalten oder Loslassen?
In den ersten Beratungsstunden habe ich meinen Klienten oft dabei begleitet sich auf ausgewählte interne Bewerbungen vor- und ggfls. nachzubereiten. Es wurde irgendwann deutlich, dass alles Bemühen, alle Kraft ins Leere lief. Das Festhalten an dem eingeschlagenen Weg habe ich meinem Klienten nicht ausgeredet, sondern nur behutsam auf die Hürden und Hindernisse oder körperlichen Symptome hingewiesen. Die Schmerzen im Rücken oder Kopf, die er manchmal am Anfang der Beratung hatte, konnten wir häufig im Verlauf des Gesprächs auflösen und die Ursachen dafür finden. Oft ging es darum, die Schwere und das Festhalten von Gefühlen und Spannungen langsam loszulassen. Ich habe meinem Klienten nicht gesagt, dass ich den Weg falsch finde, denn das wissen die Menschen irgendwann selbst. Es geht immer darum, dass mein Gegenüber selbst – auch körperlich erfahren muss – was ist der richtige Weg und das Ziel? Ich sehe mich hier als eine achtsame Begleiterin, die mit gezielten Fragen, Hinweisen zur körperlichen Wahrnehmung und mit meiner Präsenz hilft, den eigenen und ganz individuellen Prozess zu steuern, um das Ziel zu finden.
Zum Glück kam Corona
Corona hat, auch wenn wir vielfältige Erfahrungen gemacht haben, die sicher nicht immer gut waren, für mich – insbesondere auf meinen Klienten bezogen – einen sehr positiven Effekt: fast alles, was sonst routiniert und mit Gewohnheit durchlaufen, wurde verändert. Angefangen mit den sozialen Kontakten am Arbeitsplatz, die Arbeitsorganisation, die Selbststeuerung und das fast ausschließliche „mit mir alleine sein“. Für meinen Klienten war es ein echter Push jetzt erst recht vieles Gewohnte zu hinterfragen und aus dem Teufelskreis auszusteigen. Und wir haben in der Coronazeit die Beratung fortgesetzt, so dass der begonnene Weg weiter beschritten werden konnte.
Platz für Neues
Meinem Klienten ist bewusst geworden, wie wenig wertschätzende Erfahrung er in letzter Zeit gemacht hatte. Wie wenig sein Tun und Engagement in seiner Organisation gesehen wird, weil sie dort mit eigenen Herausforderungen konfrontiert sind. Das Talent meines Klienten und seine langjährige Expertise wird nicht gesehen, weil bestehende Prozesse nicht hinterfragt werden.
Glücklicherweise hat mein Klient einen Herzenswunsch entdeckt, nämlich zukünftig mehr mit Menschen zu arbeiten und sie bei ihrer Entwicklung zu begleiten. Mit vollem Elan hat er sich in eine berufsbegleitende Ausbildung gestürzt und dadurch den Blickwinkel sehr erweitert. Die Arbeit in der bestehenden Organisation macht er erst mal am bekannten Platz weiter, aber durch das neue Ziel ist sein Leben reicher geworden und vieles – auch der Blick auf bestehende Dinge im Leben – hat sich positiv verändert. Die gesamte Erscheinung des Klienten strahlt nun viel mehr Lebendigkeit aus!
„Wir sind oft wenig geformte Erwachsene, die verzweifelt versuchen,
eine Antwort an die Welt zu formulieren, in der wir uns befinden.“
Stanley Keleman