Beratungsbeispiele aus meiner Praxis

Endlich heimkommen oder: die Gegenwart und Vergangenheit gehören zusammen

Warum es für eine gelingende Zukunft so wichtig ist, seine Vergangenheit zu kennen

„Wer sich nicht erinnern kann, ist dazu verdammt, die Vergangenheit zu wiederholen.“ George de Santayan

Ich habe unlängst an einem Workshop mit Satuila Stierlin teilgenommen. Diese wunderbare und mit viel Wissen geprägte 85-jährige Frau hat uns in diesen kurzweiligen drei Stunden sehr viel mitgegeben. Zum Bespiel, warum es so wichtig ist, sich mit seiner Herkunftsfamilie auseinanderzusetzen. Oder aber auch, wie Transparenz über unseren Stammbaum bzw. Genogramm hilft, sich selber besser zu verstehen.

Vieles, was wir in den Jahren unserer Kindheit, Jugend und auch später erlebt und erfahren haben, prägt unser Tun in der Gegenwart. Es sind die gelingenden oder weniger gelingenden Erfahrungen, die für den Erfolg der weiteren Lebensgeschichte entscheidend sind.

Was bringen wir mit?

„Wenn Sie die Verbindung mit Ihrer Familie verlieren oder nie herstellen konnten, sind Sie allein, und zwar in einer Weise, dass kein Geliebter, keine Freundin, kein Freund und auch die eigenen Kinder diesen Verlust wettmachen können“, so beschreibt es Monica McGoldrick in ihrem Buch. Die totale Entfremdung oder Verdrängung der eigenen Familie ist manchmal hilfreich, aber die fehlende Auseinandersetzung mit dem „Warum ist das so?“ nicht wirklich gut. Niemand kommt auf lange Sicht damit klar, denn wir wiederholen genau das, was nicht gelöst wurde. Und zwar in Partnerschaften, Freundschaften, aber auch am Arbeitsplatz. Irgendwie finden wir immer Menschen, die uns in irgendeiner Weise – oft unbewusst – an Familienmitglieder erinnern und dann wird das, was nicht aufgelöst wurde, auf eine neue Bühne gehoben. Es kann dann zu ärgsten Konflikten kommen, obwohl sie da gar nicht hinpassen. Eben weil etwas nicht aufgelöst wurde!

Ich habe eine Klientin, die gerade merkt, dass sie noch nicht ihren richtigen Platz – örtlich als auch beruflich – gefunden hat, Das hängt auch damit zusammen, dass sie oft an Orte kommt, die sie an ihre Ursprungsfamilie erinnern: zu engstirnig, kein wirkliches Zuhause vorfinden und zusammengefasst für sie: ich spüre hier keine Freiheit! Da sie durch unsere Beratung gemerkt hat, was sie an bestimmten Orten vermisst, ist sie jetzt viel vorsichtiger damit, ihren neuen Heimathafen für sie und ihre Tochter zu finden.

Eine weitere wesentliche Erfahrung, die sie zur eigenen Reflexion antreibt ist, sie möchte vieles, was sie noch als ungelöst sieht, nicht an ihre kleine Tochter weitergeben. Hier liegt die Gefahr, denn die eigenen Probleme, die wir in unseren Ursprungsfamilien hatten wiederholen sich dann in den Familien, die wir schaffen. Oder, wie McGoldrick es schreibt: Selbst wenn man versucht, das Gegenteil von dem zu tun, was die eigenen Eltern gemacht haben, kann es passieren, dass dasselbe Muster sich wiederholt.“

Weitere wichtige Themen, die eine Familie kennzeichnen, sind die Geheimnisse, die eine Familie verbergen möchte, die aber wie es Miss Marple von Agatha Christie so schön ausdrückt: „Geheimnisse sind wie Ackerwinden, deren Wurzeln tief ins Erdreich hinabreichen“. Auf Dauer darüber hinwegzusehen wird nicht guttun – irgendwann kommt es hoch. Manchmal sucht sich dann der Körper dafür einen Weg in Form von psychosomatischen Erkrankungen.

Kleine Übung: Stellen Sie sich ein paar Fragen zu Ihrer Familie:

Eine Reflexion aufs Leben kann zur Änderung von Lebensmustern führen, die das aktuelle Leben erschweren.
  1. Wie denken die Familienmitglieder untereinander – welche Rollen und Zuschreibungen gibt es für jeden Einzelnen? (z.B. der Held, die Versagerin, das Weichei, die Künstlerin?)
  2. Wie kamen die Namen zustande – wurde jemand nach jemandem benannt und wo liegt der Ursprung des Namens? Wer hat ihn ausgesucht?
  3. Welche weiteren Ereignisse – auch historische – fallen mit Ihrer Geburt zusammen? (z.B. ich bin im geburtenstärksten Jahrgang geboren – es gab immer viel zu viele. Außerdem hat die Nachkriegszeit immer noch entscheidende Auswirkungen in vielerlei Art mit sich gebracht)
  4. Wie sind die Geschlechterrollen definiert worden – wie flexibel oder weniger flexibel ist man mit den zugeschriebenen Verhaltensweisen umgegangen?
  5. Und natürlich die Folge oder Ihre Rolle im Familiensystem. Sind Sie die Erstgeborene, der oder die „Dazwischen“ oder das Nesthäckchen?

Alleine diese kleine Übung kann helfen, etwas mehr Klarheit zu gewinnen – es ist ein Anfang, um sich auf die Reise zu seinem Ursprung zu machen. Vielleicht kostet es am Anfang etwas Kraft und auch Mut, Dinge anzugehen, aber mit der Zeit kehrt die Lebendigkeit, die dadurch verloren ging, zurück. Und irgendwann – es braucht etwas Geduld – fühlt es sich mehr an, wie: endlich heimkommen und mehr bei sich ankommen!

Mehr dazu finden Sie in:

Monica McGoldrick: Wieder heimkommen – Auf der Spurensuche in Familiengeschichten, Carl Auer Systeme Verlag, Heidelberg, 4. Auflage, 2020

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