Kontakt und Verbindung
Körper und Seele

Bis hierhin und nicht weiter oder: wenn Grenzen verschwimmen

Wer seine Grenzen kennt, ist schon ein halber Weiser.“ John Galsworthy, englischer Schriftsteller

Galsworthy hat das Herzstück zu den Grenzen in einem Satz klar und deutlich zusammengefasst. Die eigenen Grenzen zu setzen und zu kennen ist lebensnotwendig für die körperliche und psychische Gesundheit! Ganz einfach? Nein – viele Menschen lassen ihre Grenzen schnell fallen, weil sie z.B. Angst haben die Verbundenheit zu anderen zu verlieren…

Wir sind im täglichen Austausch mit Menschen in Partnerschaften, Familie, mit Kolleginnen und Kollegen sowie in Freundschaften und dabei werden unsere eigenen Grenzen sehr oft herausgefordert.

Besonders bei Menschen, deren Grenzen von früh auf verletzt wurden, ist es sehr schwer sie im heute und jetzt klar zu definieren. In vielen Situationen, bei vielen Gelegenheiten geht man selbst über die Grenzen oder es wird durch Menschen von Außen über die eigenen Grenzen gegangen – die Abgrenzung gelingt nicht. Denn Grenzen zu setzen lernen wir in der Kindheit durch unsere Bezugspersonen. Falls die Grenzen des Kindes damals nicht beachtet wurden, dann ist Abgrenzung lernen ein lebenslanges Thema.

5 Ursachen warum Grenzen setzen nicht gelingt:

  • weil man sie nicht fühlt bzw. spürt,
  • weil man sie nicht verteidigen kann,
  • weil man gar nicht auf die Idee kommt,
  • weil man gar keine Übung darin hat,
  • weil man die eigenen Grenzen gar nicht kennt.

Welche Grenzen gibt es überhaupt?

Die erste Grenze ist die, die sich durch Nähe und Distanz auszeichnet. Wie weit oder nah stehe ich zu einer anderen Person? Wo wird es zu nah oder im Gegenteil, wo ist die Person zu weit entfernt? Vielleicht ist es dem einen oder anderen schon passiert, dass man mit jemandem in Berührung kam, der von Anfang an zu nah an einem dran stand? Wunderbar – hier kann man sehr gut üben, wo endet meine eigene Wohlfühlzone oder Intimzone. Sie beginnt bei einem selbst und geht bis auf 1,5 Meter. In diese Zone dürfen sich nur sehr vertraute Personen wagen. Mehr nicht!

Die zweite Grenze zeigt sich, wenn man in einer Begegnung emotional berührt wird. Wie ist das Gesagte angekommen oder was habe ich verstanden? Welche Gefühle werden dabei berührt? Diese Grenzen sind wichtig, um seine Integrität zu wahren, seine Identität festzulegen und sich vor allem nicht fremdbestimmen zu lassen.

Emotionale Grenzen dienen dazu, seine eigenen Bedürfnisse zu wahren und keine Angst zu haben, sich dafür einzusetzen, also die eignen Gefühle zu schützen und zu respektieren. Sie bestimmen auch, wie viel man sich emotional in eine Situation oder eine Beziehung einbringen will und wie man mit den Emotionen anderer umgeht.

Auch hier gilt, um emotionale Grenzen zu setzen, muss man zunächst eigene Gefühle und Bedürfnisse erkennen und respektieren. Nein zu sagen, wenn man sich unwohl oder überfordert fühlen, und Ja zu sagen, wenn man etwas will oder auch braucht. Schließlich gehört dazu auch, die Grenzen anderer zu respektieren und zu akzeptieren und dass man nicht für deren Gefühle verantwortlich ist. In diese Kategorie gehören auch die verbalen Grenzen, d.h. wie möchte ich, dass jemand mit mir spricht und über was man mit mir spricht.

Zeitfresser

Viele Menschen, die ich begleite sprechen darüber, wie viel Zeit sie mit Dingen verschwenden, die sie eigentlich nicht tun möchten. Oder andere Menschen verfügen einfach über ihre Zeit. Wie wichtig ist mein eigenes Zeitkontingent? Mit wem oder mit was möchte ich meine Zeit teilen oder Zeit verwenden? Was könnte ich stattdessen tun? Und wenn wir es noch weiter aufdröseln, wo könnte ich meine Lebenszeit effektiver einsetzen? Die Spannbereite ist immens. Wichtig ist auch hier, wenn man das Gefühl hat seine Zeit zu verschwenden, dann ist die eigene Grenze verletzt und es bedeutet, sich neu zu orientieren oder zu mindestens, falls die Umständen es gerade nicht zulassen, eine Lösung oder einen Kompromiss zu suchen.

Arbeitszeit ist Lebenszeit

Ein besonderer Zeitfresser kann die Arbeit sein. Die Arbeitswelt erfordert durch die zunehmende Verdichtung immer mehr Einsatz, Flexibilität und vor allem Zeit! Menschen, die ich begleite kommen oft erschöpft von ihrem Arbeitsplatz zu mir und suchen erstmal etwas Zeit und Raum für sich. Die Zeit, die man der Arbeit „schenkt“ ist oft zu viel, weil z.B. innere Antreiber dies fordern. Hier gilt es ein gutes Maß zu finden, wieviel Zeit möchte ich mit Arbeit verbinden und was brauche ich auch, um gesund zu bleiben? Also, den Anteil der Zeit für die Arbeit auf ein gutes Maß zu reduzieren, damit sie einen nicht auffrisst. Ein Bewusstsein zu schaffen: ich bin mehr als meine Arbeit.

Werte und Glauben

Werte und Glauben sind wichtige Dinge, die es zu schützen und zu wahren gilt. Manchmal befindet man sich in einem Kontext, z.B. an einem Arbeitsplatz oder auch in einer Freundschaft, wo die eigenen Überzeugungen nicht (mehr) mitgetragen werden. Es entsteht ein ungutes Gefühl, weil man gegen seine Überzeugung lebt und sich nicht mehr gesehen fühlt. Auch dies kann dazu führen, dass eine Zerrissenheit entsteht und die eigene Integrität in Frage gestellt wird.

Das liebe Geld

Jeder Mensch hat ein bestimmtes finanzielles Budget zur Verfügung. Wir wissen alle, dass die Verteilung des Geldes sehr unterschiedlich ist und ja, sogar sehr ungleich verteilt ist. Dennoch ist dieses Budget ein gesetzter Rahmen, mit dem man haushalten muss. Auch hier gibt es einige Menschen, denen ihr Budget ständig aus dem Rahmen kippt. Die immer wieder merken, dass der Monat noch viele Tage übrig hat und das Geld schon lange ausgegeben ist. Sie leben über ihre finanziellen Grenzen. Das ist kein gutes Gefühl. Gerade junge Menschen erzählen mir, dass ihnen die Einteilung des Geldes sehr schwer fällt, da die Verlockungen im Außen immens sind. Das Haushalten mit dem Budget muss also gelernt werden, um ein gutes Gefühl dafür zu entwickeln. Permanent über diese Grenzen zu leben, kann das Leben erheblich erschweren.

Sexuelle Grenzen

Das sensibelste Grenzthema fällt in die Sexualität, da der eigene Körper und damit die intimste Grenze, die wir haben, betroffen ist. Wen lasse ich überhaupt so nah an mich dran, dass er oder sie über diese Grenze einfließen darf. Welche Gefühle werden dabei frei? Welche Berührungen sind stimmig und welche nicht? Und gerade bei der Sexualität geht es immer wieder darum, wie kann ich bei mir bleiben und gleichzeitig in der Verbindung mit dem Anderen sein? Oder verliere ich mich im Anderen. Denn, so schreibt Ilka Stoedter über Grenzen und Intimität: „Ein wichtiger Faktor für die Liebe und Lust ist die Fähigkeit, Grenzen zu setzen und auch wieder öffnen zu können.“ Sie bietet in ihren Seminaren zur Bodyenergetik genau dieses Thema mit vielen Fragestellungen an, die körperlich erlebt werden. Gerade beim Thema Sexualität holen uns alte Muster und Verletzungen immer wieder ein und in Folge verschwinden die Grenzen – und man selber auch…

Um was geht es also?

Die Vielzahl der Grenzen, mit denen wir täglich konfrontiert werden – mal mehr, mal weniger – haben unterschiedliche Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. Die oben genannte Aufzählung bzw. das Bild  soll nochmal vertiefen, welche Grenzen es im Leben gibt und welche es zu wahren gilt.

Vielleicht helfen die folgenden Fragen, um mehr Klarheit zu erlangen:

  1. Welche von den genannten Grenzen fallen mir leicht?
  2. Welche kann ich nicht so gut definieren oder wo fällt eine Abgrenzung schwerer?
  3. Welche Ursachen gibt es, dass mir manche Abgrenzung leicht fällt, aber manche auch schwer(er)?
  4. Was könnte mir zukünftig helfen meine Grenzen besser zu spüren?

In der Quintessenz geht es immer wieder darum, in sich rein zu spüren und ein deutliches „Stop oder Go“ zu erleben. Die wichtigste Voraussetzung ist  also die gesunde Abgrenzung nach Außen und dabei die Verbundenheit zu sich selbst zu behalten, aber ohne die Verbundenheit mit dem Außen zu verlieren.

Wenn ich nicht bei mir bin, dann verschwimmen die Grenzen und das Überschreiten passiert ganz schnell von: Körpergrenzen, Zeit, Raum und vielem mehr. Sich im Anderen oder mit etwas zu verlieren, ist dann die Folge. Also braucht es ein gutes Gefühl für sich selbst, um letztlich die benannte Weisheit von John Galsworthy zu erlangen. Und weise wird man erst mit der Zeit, notwendigen Erfahrungen und der Aufarbeitungen von verwundeten Grenzen…

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