Lebensthemen

Was die Digitalisierung mit uns macht: schneller, komplexer – entkörpert

Vom Homo Sapiens zum Homo Digitalis?

Einen Teil meiner beruflichen Identität bin ich in der IT-Branche als Personalentwicklerin tätig. Hier steht – wie in vielen Firmen – die Digitalisierung der Arbeitsabläufe aller Art auf der täglichen Agenda. Aber auch in meiner Beratungspraxis merke ich die Auswirkungen der digitalen Industriealisierung – so wird sie mittlerweile schon benannt. Die Menschen sind in ihrem Leben mit einem immensen Tempo konfrontiert, so dass sie oftmals den Kontakt zu sich verloren haben und dann um Unterstützung bitten, weil sie diese Komplexität nicht mehr steuern können.

„Always on oder 24/7“ sind Schlagworte, die eine Herausforderung darstellen, denn man kann rund um die Uhr online sein, um in sozialen Netzwerken zu kommunizieren und das aktuelle gesellschaftliche und politische Geschehen auf der ganzen Welt verfolgen und kommentieren. Aber auch die Firmen bieten heute die Möglichkeit, über Anwendungen, die sogar auf dem Smart Phone laufen, immer und überall erreichbar zu sein und das auch am Wochenende oder außerhalb der normalen Arbeitszeiten. Dann geht es häufig in meiner Beratung um Entschleunigung oder wie es GEO Wissen schreibt: „Vereinfachen Sie Ihr Leben, konsumieren Sie weniger, nehmen Sie Tempo raus, lassen Sie los, machen Sie mal Pause“ – um wieder bei sich anzukommen.

Digitalisierung verändert unsere Kommunikation

Wir haben eine immer engere Verbindung zwischen Mensch und Maschine – überlegen Sie doch mal für sich selbst, wie oft sie am Tag mit oder über Ihren PC, dem Smart Phone oder ähnlichem Digitalem kommunizieren? Und wie war das noch vor wenigen Jahren? Diese Verbindung vom Gehirn zum Computer zeigt schon jetzt spürbare Auswirkungen auf die Art, wie wir leben und uns weiter entwickeln. D.h. wir kommunizieren nicht nur mit Menschen, sondern nutzen digitale Begleiter, wie beispielsweise eine Software auf dem Handy, um den besten Weg oder das schönste Restaurant zu finden oder eventuell auch Roboter wie Siri, mit denen wir sprechen, um ein Problem zu lösen. Computer sind aber keine menschlichen Wesen – das bedeutet wir gehen ganz anders mit ihnen um. Wir können sie jederzeit abschalten oder auch einfach gar nicht richtig hinhören oder hinsehen. Und sie sind fast immer verfügbar, zeigen keine Gefühle und man kann von einem zum anderen Medium wechseln ohne Rücksichtnahme.

Auch das Lernen ist anders geworden. Eher alleine am PC als gemeinsam etwas auszutauschen.

Das kann langfristig dazu führen, dass wir das Miteinander unter den Menschen auch ändern, weil wir uns ein anderes Verhalten angewöhnen und den Umgang von Mensch zu Maschine in einigen Fällen auf Mensch zu Mensch übertragen. Weniger Empathie und weniger wirklicher Kontakt – zu sich selbst und zu anderen. Vom homo sapiens zum homo digitalis, weil wir teilweise schon mehr digital kommunizieren als im persönlichen Kontakt zu sein. Innerhalb der verschiedenen Generationen sind diese Auswirkungen noch deutlicher. Die „Digital Natives“, also die Generation, die mit den Medien aufgewachsen ist – aber auch Menschen in der Lebensmitte haben sich in den letzten 20 Jahren an den immensen digitalen Konsum angepasst. Wir sind dabei, immer weniger in Resonanz mit dem Gegenüber zu sein. Eine US-Studie ergab, dass es sich dabei um einen Rückgang  um fast 40 Prozent handelt (Betrachtungszeitraum 1979 bis 2009). Aber: Was macht das mit mir?

Immer etwas tun müssen

Ein wichtiger Aspekt, der durch die ständige Erreichbarkeit hervorgerufen wird, ist, dass wir immer etwas zu tun haben. Nie steht das digitale Medium still. D.h. einen inneren Entspannungszustand erreicht man dabei nicht und der ist aber für ein gesundes Leben sehr wichtig. Wir befinden uns somit permanent in einer inneren Anspannung: Stresshormone werden ausgeschüttet, das Nervensystem fährt hoch, die Muskeln sind verspannt, der Herzschlag ist meistens hoch und die Atmung nicht tief. Hinzu kommt ein Gedankenkarussell, das sich eher mit Sorgen und Nöten beschäftigt, als mit den schönen Dingen des Lebens – denn die gibt es jenseits der Digitalisierung genug. Durch das ständige Getriebensein kommt wenig oder gar keine Kreativität zustande, denn diese entsteht erst in der Ruhe. Man tut mehr von dem, was man eigentlich nicht tun möchte – statt dass, was einem richtig Spaß macht. Aber was das eigentlich ist, das weiß man gar nicht mehr… denn man hat sich selbst verloren oder zu mindestens vernachlässigt.

Wie finde ich mich wieder – zum Beispiel im Wald?

Eine neue Richtung, um mit sich selbst und der Welt in echter Verbindung zu sein, ist das aus Japan stammende „Waldbaden“ oder „Shinrin Yoku“. Ulli Felber beschreibt es in ihrem Buch als: „… bewusstes Verweilen im Wald – mit dem Zweck, sich zu erholen und die eigene Gesundheit zu stärken.“ Der Wald verlangt nichts, denn die Reize in der Natur sind weniger penetrant und gezielt. Eine gute Möglichkeit, die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis, die Selbstbeherrschung und vor allem den Körper zu regenerieren.  Im Wald wirken die sogenannten Terpene, die von den Bäumen abgesondert werden und gut für unser Immunsystem sind. Sozusagen ein Rundumcocktail für die Gesundheit neben den seelischen Effekten. Ich habe dazu einen Buchtipp für Sie, der eine schöne Anzahl an Übungen bietet, um Ihre Sinne wieder in Balance zu bringen. Denn darum geht es letztlich, mit allen Sinnen durch die Welt zu gehen, damit Sie bewusst wahrnehmen, wie es Ihnen gerade geht.

Eine gute ent-digitalisierte Zeit, um mehr Zeit zu schaffen für das Wesentliche wünscht ich Ihnen!

Bücher und Tipps:
Uli Felber: 
Waldbaden. Das kleine Übungsbuch für den Wald. Schirner Verlag, Darmstadt 2018
Geo Wissen: Zeit für die Seele No. 61, Gruner und Jahr Verlag, Hamburg

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