Beratungsbeispiele aus meiner Praxis,  Lebensthemen

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist noch besser?

Ich traue mich, mich zu zeigen, denn ich vertraue darauf, dass nichts im Außen passiert

Wir reden von Vertrauen schenken, Vertrauen entwickeln und Vertrauen aufbauen – sowohl im persönlichen als auch im beruflichen Kontext. Vertrauen ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Erfolgskriterien für gute Zusammenarbeit. Das bedeutet, gute und erfolgreiche Beziehungen basieren auf Vertrauen. Und nun? Wie aber entwickelt sich Vertrauen? Darüber wird wenig geschrieben.

Das Geheimnis lautet: Die Grundlage für Vertrauen wird in ganz frühen Jahren angelegt. Und zwar durch direktes körperliches Erleben im Zusammenspiel mit unseren Bezugspersonen.

Wie sich Vertrauen auf der Körperebene entwickelt und dann für ein Leben lang zur Verfügung steht, beschreibe ich in diesem Artikel. Und falls Vertrauen durch die Einstimmung mit den Bezugspersonen der Kindheit nicht entstehen konnte, resultiert daraus oft ein Narzissmus, der uns und andere im Leben so manche Herausforderung bereitet. Werde ich so gesehen, wie ich wirklich bin? Oder wer bin ich eigentlich – wirklich? Habe ich im Drehbuch meiner Eltern nur eine bestimmte Rolle erfüllt? Um diese lebenswichtige Beziehung zu schützen, spielt man – aufgrund der Abhängigkeit – das falsche Spiel mit.

Aber, es gibt eine Lösung…

Körperliche Erfahrungen, Entwicklungen oder Frustration

Mit Neugierde nach etwas greifen und im guten Zusammenspiel mit den Bezugspersonen dabei ermuntert zu werden – das schafft Vertrauen. (Bild von: Filipe Leme)

Vertrauen wird körperlich zwischen dem 8. Lebensmonat und 2,5 Jahr angelegt. Durch motorischen Fähigkeiten, wie z.B.

  • etwas vor sich zu sehen und interessiert sein. Die äußere Welt ist da!
  • neugierig zu sein und hinzukrabbeln
  • sich mit den Armen hochzuziehen und langsam auf die Beine kommen
  • dem Boden zu vertrauen mit nach außen gestellten Füßen
  • das Objekt der „Begierde“ ergreifen und begeisterungsfähig zu sein.

Viele Muskeln, die erstmals zur Verfügung stehen, wie z.B. sich mit den Armen hochziehen und erste Steh- und Gehbewegungen, werden jetzt erprobt. Diese Phase ist der Übergang vom „Vierbeiner zum Zweibeiner“ und wir lernen, im wahrsten Sinne des Worte im Leben zu stehen. Das wichtigste bei all diesen neuen körperlichen Erfahrungen ist, wie reagieren meine Bezugspersonen auf mich und meine neuen Aktivitäten? Schon hier wird der „Hab-acht-Muskel“ im hinteren Nackenmuskel angelegt, wenn dieses Erforschen der Umwelt eher mit Schrecken verbunden ist. Auch die erste Abnabelung zur Bezugsperson steht an. Gelingt das oder eher nicht?

Hilf mir, dass ich zu mir finde

Mit Neugierde auf etwas zusteuern und wie regiert meine Außenwelt darauf? Wird meine Neugierde gleich erstickt, indem ich die Dinge in die Hand gereicht bekomme, der eigene Wille zum selbst Ergreifen sich dadurch nicht entwickeln kann? Dann entsteht Resignation – in späteren Jahren zeigt sich das auch deutlich durch wenig Neugierde für Neues und Angst vor Veränderungen.

Oder die Begeisterung, die ein Kleinkind zeigt, wenn es etwas erreichen möchte. Wird diese von Außen durch Freude bestärkt oder eher abgewendet, weil für die Bezugsperson etwas anderes ganz wichtig, wertvoller oder einfacher war? Vielleicht war die kindliche Freude von damals auch zu viel für andere?

Hier entsteht auch ein Glaubensmuster, wie z.B.: „Ich traue mich nicht mehr, mein Eigenes nach Außen zu bringen!“ Es wird sowieso nicht gesehen oder gewollt. Oder positiv in der Umkehr, wenn viel Ermunterung geboten wurde: „Ich traue mich, mich zu zeigen, denn ich vertraue darauf, dass nichts im Außen passiert.“ Dann habe ich gelernt, mir zu vertrauen, mir etwas zuzutrauen und dass ich dies nach Außen bringen kann. Meins hat Wert und damit identifiziere ich mich! Welch ein Geschenk für die Entwicklung des Vertrauens!

Vertrauen oder Narzissmus?

Um sich selbst zu vertrauen, braucht es im Außen – durch die Bezugspersonen – eine gute Dynamik. Ein Kind fängt in dieser Phase an, mit einer großen Begeisterung an der Umwelt teilzunehmen. Ist die Bezugsperson zu fordernd, dann strengt sich das Kind ev. mehr an, als es eigentlich kann. „Ich kann etwas für Dich machen, um Dir zu gefallen.“ Das Eigene tritt zurück, denn ein Kind wird immer die elterlichen Wünsche erfüllen. Nicht dass, was ich kann und will wird honoriert, sondern nur dass, was das gewünschte Verhalten ist – beginnend in ganz frühen Jahren.

Sie wurden nur dann „belohnt“, wenn sie besonders waren oder eine bestimmte Leistung erbracht haben? Zuwendung erfolgte nur unter bestimmten Bedingungen? Daraus kann ein falsches Selbst und in Folge der Narzissmus entstehen.

Werde ich die Heldin oder der Held für die Eltern, die sich mit mir schmücken statt „Hilf mir zu mir zu kommen?“ Die späteren Erwachsene agieren dann durch Macht, Kampf und viel Kraft – um ihren Raum zu erhalten, der ihnen in frühen Jahren genommen wurde. Immer der Held oder die Heldin zu sein, kann sehr anstrengend sein. Dazu permanent über die eigenen Kräfte zu gehen, um alles unter Kontrolle zu haben, weil man – im Inneren – große Angst vor Kontrollverlust hat. Dazu gehört auch, Macht über andere zu haben und zu halten, um die eigenen Minderwertigkeitsgefühle zu vermeiden. Permanent ein gutes und ideales Bild von sich zu zeigen, denn die Augen der anderen können einen vernichten. So ist es tief im Innen erankert. Die Liste ist lang, schwer und lässt wenig Raum dafür, sich wirklich zu zeigen: Bin ich aus mir heraus überhaupt etwas wert?

Therapeutische Herangehensweisen und Wachstumschancen

Sich selbst einzugestehen, dass es etwas anderes im Leben braucht, ist der erste Schritt in Richtung Vertrauen. Ein Eingeständnis, dass man Hilfe braucht. Für diejenigen, die wenig Vertrauen in sich tragen, ist dies ein großer Schritt! Welch wahrer Schatz darin liegt, sich verletzlich zu zeigen, wird erstmal nicht gesehen. Dafür gibt es keine guten Erfahrungen aus der Vergangenheit. Vieles wird im Innen gehalten, da es die Furcht gibt, dies im Außen zu zeigen.

Aber: Vertrauen kann auch später aufgebaut werden. Dafür braucht es die körperliche Erfahrung, wie z.B. ein Auffangen vom Gegenüber. Kann ich mich fallenlassen, wenn ich die ureigenste Angst des Auffangens nicht kenne? Ein langsames Herantasten durch entsprechende körperliche Übungen kann hier hilfreich sein, um das Gefühl von Vertrauen zu integrieren.

Wichtige Fragestellungen zum wirklichen Selbst

  • Wie wäre es gewesen, wenn Dich jemand aufgefangen hätte?
  • Was passiert, wenn ich mich hilflos zeige bzw. was bedeutet Hilflosigkeit überhaupt für mich?
  • Was ist, wenn ich Hilfe bekomme?
  • Oder werde ich so gesehen, wie ich wirklich bin?

Es braucht Mut, die Kontrolle abzugeben, denn die größte Angst ist der Kontrollverlust – aber hier liegt die Chance, echtes Vertrauen zu erleben und zurück zum wirklichen Selbst zu finden. Mehr Kontakt zu sich selbst zu entwickeln und ganz anders mit Anderen in Kontakt zu treten – mit dem eigentlichen Selbst und vor allem zurück zum Vertrauen.

Titel-Bildnachweis: Dominika Roseclay

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