Beratungsbeispiele aus meiner Praxis

Der Sprung ins klare Wasser: Der Weg zum beruflichen Ausstieg

Neuorientierung nach 40 Jahren Arbeit

Nach über vier Jahrzehnten im Berufsleben, meist rund um das 60. Lebensjahr, stehen viele Babyboomer an einem Wendepunkt. Während sich die digitale Welt immer schneller dreht, wächst bei vielen die innere Abwehr gegen den ständigen Wandel – begleitet von zunehmender Erschöpfung.

Arbeiten bis zur Rente? Oft fühlt es sich an wie ein endloser Marathon, bei dem das eigentliche Ziel längst aus den Augen geraten ist. Gleichzeitig reift die Überzeugung: Es reicht! Die Zeit des Vollzeit-Arbeitens ist vorbei.

Zudem wird vielen bewusst, dass die ständige Anpassung an neue Anforderungen nicht mehr mit den eigenen Werten harmoniert. Es ist Zeit innezuhalten und sich einige wesentliche Fragen zu stellen:

  • Was kommt jetzt?
  • Was ist wirklich wichtig?
  • Warum packe ich es nicht an?
  • Und vor allem: Wie gestalte ich meinen Übergang in den neuen Lebensabschnitt?

In diesem Artikel beleuchte ich sowohl Wege zum Ausstieg als auch die Hindernisse, die uns davon abhalten. Oft wird der Wunsch nach Veränderung noch eine Weile verdrängt oder schöngeredet – doch was geschieht im Unterbewusstsein, das diesen Schritt so schwer macht? Auch das Beispiel meiner Klientin, die ich begleitet habe, kann hier wichtige Impulse bieten.

Aller Anfang ist schwer

Die Auseinandersetzung mit dem Thema kann sich körperlich bemerkbar machen: ständige Infekte, Rückenschmerzen, innere Unruhe oder anhaltende Erschöpfung. Vielleicht schlägt sich das Unwohlsein auch auf die Stimmung nieder – Montage werden zur Belastung, während das Wochenende unerreichbar fern scheint.

Zusätzlich scheiden immer mehr Freunde und Bekannte aus dem Berufsleben aus, was unweigerlich zum Nachdenken anregt. Oder, noch schlimmer: man hört oder bekommt mit, dass Menschen in diesem Alter schlimme Krankheiten erleiden oder gar sterben.

Und dann wird man mit seinen tief verankerten Glaubenssätzen konfrontiert :

  • „Ich muss etwas leisten, um wertvoll zu sein.“
  • „Ohne Arbeit zählt man nichts.“
  • „Ruhestand bedeutet Stillstand – danach kommt nichts mehr.“
  • „Wer nicht arbeitet, gehört nicht dazu und liegt anderen auf der Tasche.“
  • „Meine Eltern haben auch durchgehalten.“

Neben diesen inneren Überzeugungen gibt es aber auch äußere Hürden:

  • Gesellschaftliche Erwartungen
  • Finanzielle Unsicherheiten
  • Fehlende Vorbilder für alternative Lebensentwürfe

Für viele Menschen ist Veränderung grundsätzlich schwierig. Eine Klientin brachte es einmal treffend auf den Punkt: „Lieber das bekannte Unglück als das unbekannte Glück.“ Doch innerhalb unserer Beratung erkannte sie: Jede Veränderung, so beängstigend sie anfangs war, hat sie letztlich weitergebracht. Ja, der Wandel kann schmerzhaft sein und Angst auslösen – aber irgendwann ist es genug!

Das letzte Viertel bewusst gestalten

Die letzten Jahrzehnte des Lebens sind wertvoll. Sie verdienen es, aktiv und mit Sinn gefüllt zu werden – frei von alten Mustern, aber voller neuer oder anderer Möglichkeiten. Vielleicht gibt es noch unerfüllte Träume? Jetzt ist die Zeit, sie sich genauer anzusehen. Kraft und Energie sind noch vorhanden, doch sie sind nicht unerschöpflich. Akzeptanz ist hier der Schlüssel.

Sprungbrett ins Neue: Zwei wesentliche Schritte

1. Innere Klarheit gewinnen

Der erste und wichtigste Schritt: Klarheit darüber, dass man aussteigen möchte. Ohne eine bewusste Entscheidung fehlt die Energie für alles Weitere. Falls Unsicherheiten bestehen, kann eine Begleitung helfen, den richtigen Impuls zu setzen, um seinen Ausstieg zu finden.

Welche Gedanken oder Ängste halten einen noch zurück – so wie bei meiner Klientin im obigen Beispiel? Oder vielleicht fehlt es an Mut, wie ich es in einem anderen Artikel über das Verlassen der Komfortzone beschrieben habe.

Der Sprung ins klare helle Wasser

Aber auch:
Was braucht noch Beachtung?
Wo sind innere (körperliche) Stolpersteine verborgen, die die Energie nehmen, den Schritt zu gehen.

Ein weiterer hilfreicher Gedanke, um sich diesen Übergang zu „erlauben“ ist ein bewusster Blick zurück auf die eigene Leistung. Jahrzehntelanges Engagement, Erfolge, Herausforderungen – all das darf gewürdigt werden. Es braucht kein ständiges „Mehr“, um den eigenen Wert zu beweisen, sondern echte Würdigung.

2. Die eigene Exit-Strategie entwickeln

Sobald die Entscheidung gereift ist, geht es um konkrete Schritte:

  • Welche Möglichkeiten bietet z.B. der Arbeitgeber für einen Übergang/Ausstieg oder eine längere Pause?
  • Welche finanziellen Optionen gibt es im Sozialsystem?
  • Welche Sicherheit brauchst es noch, um diesen Schritt zu wagen?

Hier hilft hauptsächlich eine rationale Herangehensweise – aber sie setzt voraus, dass die innere Klarheit bereits gefunden wurde. Als ehemalige Personalentwicklerin weiß ich von vielen unternehmensinternen Programmen, die für Babyboomer angeboten werden, um Platz für die neue Generation zu machen. Diese gilt es zu erfragen.

Der Sprung ins klare, helle Wasser

Coaching oder Therapie können helfen, diesen Übergang bewusst zu gestalten:

  • Klarheit über persönliche Ziele und Wünsche gewinnen
  • Neue Wege finden, um die eigenen Stärken sinnvoll einzusetzen

Es geht darum, wieder in Kontakt mit dem eigenen inneren Kompass zu kommen. Denn die verbleibende Zeit sollte nicht von Erschöpfung, Krankheitssymptomen oder schlechter Stimmung bestimmt sein – sondern von Lebensfreude und den Dingen, die man schon immer tun wollte.

Und manchmal bedeutet das, sich zunächst eine Phase des Nichtstuns zu gönnen, um Raum für neue Ideen zu schaffen. Es geht um das Ausprobieren dessen, was lange durch äußere Anforderungen blockiert war und dafür braucht man Raum: inneren und äußeren.

Denn irgendwann ist genug wirklich genug.

Und es ist nicht zu spät, etwas neues anzufangen!

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